Da man mit Tempolimit und ohne Tempolimit nur schwer vergleichen kann, da „ohne Tempolimit“ sehr unscharf definiert ist, vergleichen wir hier Tempo 100 mit Tempo 130. Welche Unterschiede ergeben sich bei diesen Geschwindigkeiten?
Wir betrachten:
– Unfallgefahr & Unfallfolgen
– Verkehrsfluss
– Energiebedarf & Kraftstoffverbrauch
– Emissionen: NOx, Feinstaub, Lärm
Unfallgefahr
Bei 100 km/h beträgt der Anhalteweg ca. 71 m.
Bei 130 km/h beträgt der Anhalteweg ca. 109 m.
Bei 130 km/h beträgt nach 71 m „Anhalten“ die Geschwindigkeit noch ca. 94 km/h. Das bedeutet bei einer Kollision, tödliche Verletzungen sind sehr wahrscheinlich.
Bei 100 km/h kommt man an dieser Stelle unfallfrei zum Stillstand.
100 km/h oder 130 km/h kann der Unterschied zwischen unfallfrei und tot sein.
(Bremsbeschleunigung hier a=-8,9 m/s²; die Aussage gilt auch bei anderen, möglichen Bremsleistungen; moderne Fahrzeuge und geschulte Fahrer kommen bei guter Straßensituation auf bis zu -10 m/s²)
Unfallfolgen
Die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Unfalls ist ab einer Aufprallgeschwindigkeit von 100 km/h äußerst gering. Die Belastungen auf den Körper aufgrund der auftretenden Beschleunigung sorgen in der Regel für multiple tödliche Verletzungen.
Die Überlebenswahrscheinlichkeit in einem Fahrzeug ist um so höher, je geringer die Kollisionsgeschwindigkeit ist.
Ähnlich sieht es bei Unfällen mit Fußgängern / Personen auf der Fahrbahn aus.
Quelle: Zukunft Mobilität
Risiko schwerer Unfälle
Auf Autoahnen passieren 6 % bis 7 % aller Verkehrsunfälle mit Personenschäden. Bei diesen Unfällen kommen etwa 13 % aller Verkehrstoten ums Leben. Das bedeutet, bei einem Unfall auf der Autobahn ist das Risiko, dabei zu sterben, besonders hoch.
Ein ähnliches Verhältnis von Unfalltoten zur Unfallzahl hat man auf Straßen außerorts. 40% dieser Toten sind auf überhöhte Geschwindigkeit zurück zu führen.
Das bedeutet, eine technische Maßnahme zur Verhinderung von überhöhter Geschwindigkeit – zum Beispiel ein bauartbedinktes Drosseln der Maximalgeschwindigkeit eines Fahrzeugs auf 100 km/h – würde einen Großteil der Verkehrstoten vermeiden. Technisch wäre das durch ein Softwareupdate oder eine Nachrüstung auch bei Bestandsfahrzeugen sehr leicht umzusetzen.
Die geringsten Unfallfolgen haben Unfälle innerorts. Die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu überleben, ist dort 4- bis 5-mal so hoch, wie außerorts. Obwohl innerorts 70% der Unfälle geschehen, hat man dort nur 30% der Todesopfer zu beklagen. Über 2/3 der Toten gehen auch hier auf das Konto überhöhte Geschwindigkeit.
Qulle: DVR-Unfallstatistik
Verkehrsfluss
Die höchste Kapazität hat eine mehrspurige Straße bei 70-100 km/h, je nach Straßenverhältnis. Bei Tempo 100 kann die Straße mehr Verkehr aufnehmen, als bei Tempo 130. Ebenfalls sinken Unfallrisiko und Staugefahr. Bei 85 km/h fließt der Verkehr am flüssigsten. Diese Werte geben sich aus Messungen in der Praxis und liegen am Verhalten der Menschen auf solchen Straßen. Wie man rechnerisch optimale Werte ermittelt, siehe meinen Beitrag zu Tempo 30.
Wenn einige aufgrund des Tempolimits langsamer fahren als sie wollen, kommen alle schneller an ihr Ziel. Auch wenn das zunächst paradox klingen mag, kann ein Tempolimit zu dieser Situation führen.
Wie ein Stau entsteht
Die meisten Staus entstehen, weil einige Autofahrer schneller fahren wollen.
Ein klassisches Beispiel für eine Stauursache ist, eine Kolonne fährt auf eine langsamer fahrende Kolonne auf. Das erste Fahrzeug der aufschließenden Kolonne fährt dabei zunächst zu dicht auf. Um den Sicherheitsabstand wieder herzustellen, muss der Fahrer dann zunächst langsamer werden als das Fahrzeug vor ihm. Dieses Fahrzeug (aka der „Raser“) ist damit langsamer als das vordere Fahrzeug und langsamer als die nachfolgenden Fahrzeuge, die dadurch zunächst auch dichter auffahren. Wenn sich die nachfolgenden der aufschließenden Kolonne ähnlich verhalten, muss jedes Fahrzeug entsprechend immer weiter abbremsen. Dies kann bis zum Stillstand führen. Ein Phantomstau ist entstanden. Ca. 2/3 aller Staus in Deutschland sind solche Staus „ohne echten Grund“.
Wie widersinnig das ist, können wir z.B. an typischen „Stauverursachern“ wie Baustellen sehen. Eine Baustelle mit 80 km/h oder 60 km/h Begrenzung kann viel mehr Verkehr/Verkehrsfluss aufnehmen als an ihr mit höherer Geschwindigkeit an kommt. Theoretisch sollte hier also kein Stau entstehen. Er entsteht aber doch, eben wenn Fahrzeuge zu schnell in den Baustellenbereich einfahren und dann unter die Geschwindigkeit der Vorausfahrenden abbremsen (müssen). Im Vorbaustellenbereich sind Geschwindigkeitsüberschreitungen von bis zu 40 km/h keine Seltenheit. Das bisschen „schneller sein wollen“ führt bei entsprechender Verkehrsdichte zum Stau.
Kommt der Verkehr nur mit 100 km/h an, ist dieses Risiko deutlich reduziert.
Energiebedarf
Ein Fahrzeug bei 100 km/h in der Ebene braucht nur etwa 50% der Antriebsleistung gegenüber 130 km/h. Es genügt also ein deutlich schwächer ausgelegter Antriebsstrang.
Für die selbe Strecke benötigt man bei 100 km/h Geschwindigkeit allerdings 30% mehr Zeit. Damit benötigt man insgesamt etwa 35% weniger Energie für die selbe Strecke.
Verbrennungsmotoren sparen damit allerdings nur etwa 30% Kraftstoff. Dies liegt an der ineffizienten Antriebstechnik bei Antrieben mit Explosionskolbenmotoren. Je stärker der Motor und je geringer die benötigte Leistung, desto schlechter ist der Wirkungsgrad bei Verbrennungsmotoren und desto höher sind die (relativen) Verluste.
Den optimalen Kraftstoffverbrauch haben PKW mit Verbrennungsmotor je nach Modell bei einer Geschwindigkeit zwischen 50 km/h und 70 km/h. Manche auch darunter.
Für Fahrzeuge mit Elektroantrieb gilt das nicht. Bei diesen steigt der Energiebedarf für die gefahrene Stecke stetig mit einem Geschwindigkeitszuwachs. Eine „energieoptimale Geschwindigkeit“ gibt es hier quasi nicht. Grob gilt für Alltagssituationen, je langsamer, desto weniger Bedarf an Primärenergie. (Ausnahmen sind Geschwindigkeiten, deren Energiebedarf nahe an den Ruheenergieverbrauch des Fahrzeuges heran kommen, und man durch eine erhöhte Geschwindigkeit die Zeitdauer des Energiebedarfs verkürzt.)
Physik
Grundsätzliches
Der Leistungsbedarf eines Fahrzeugs in der Ebene setzt sich aus zwei Komponenten zusammen.
- Muss die Reibung mit der Fahrbahn überwunden werden. Die dazu benötigte Leistung ist proportional zur Geschwindigkeit.
P = f⋅m⋅g⋅v; P ~ v - Muss der Luftwiderstand überwunden werden. Der Luftwiderstand ist proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit. Die nötige Leistung ist damit proportional zur 3. Potenz der Geschwindigkeit.
P = ½⋅cw⋅A⋅ϱ⋅v³; P ~ v³
Der Leistungsbedarf setzt sich insgesamt zusammen als Summe dieser Komponenten:
P = f⋅m⋅g⋅v + ½⋅cw⋅A⋅ϱ⋅v³
100 km/h sind 77% von 130 km/h. Die benötigte Leistung um die Reibung zu überwinden sinkt also um 23% auf 77%. Die benötigte Leistung um den Luftwiderstand zu überwinden sinkt um 55% auf 45%.
Beschleunigung
Berücksichtigen wir die notwendige Energie zur Beschleunigung. Diese entspricht der kinetischen Energie des Fahrzeugs:
E = ½⋅m⋅v²; E ~ v²
Um die Fahrzeugmasse auf 130 km/h zu beschleunigen, wird also 70% mehr Energie benötigt, gegenüber dem Energiebedarf um Tempo 100 zu erreichen. Um auf Tempo 140 zu beschleunigen benötigt man bereits die doppelte Menge an Energie.
Noch dramatischer wird es im Stadtverkehr. Um auf Tempo 50 zu beschleunigen benötigt man die 2,8-fache Energie im Vergleich zu Tempo 30.
Dazu kommt der oben angesprochene, notwendige Mehrbedarf aufgrund von Reibung und Luftwiderstand. Für den Energiebedarf ergibt sich damit:
E = ½⋅m⋅v² + ∫ P(v(t)) dt
Steigungen
Die Fahrbahn ist nicht immer eben. Bei Steigungen muss die Arbeit berücksichtigt werden, das Fahrzeug nach oben zu transportieren, respektive die Energieersparnis Bergab. Die Gleichung muss durch diesen Term erweitert werden. Ebenfalls ändert sich die Reibung. Das führt auf:
P = (f⋅cos α + sin α)⋅m⋅g⋅v + ½⋅cw⋅A⋅ϱ⋅v³
Da Steigung und Gefälle sich im Schnitt die Waage halten, kann man diesen Effekt zunächst weitgehend vernachlässigen. In der Theorie wird sich – für viele überraschend – der Energiebedarf reduzieren. Die Reibung sinkt, und bei Bergabfahrt wird die für Bergauffahrt mehr benötigte Energie weniger benötigt. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor können diese Effekte jedoch kaum nutzen. Daher haben diese bei Bergfahrten in der Regel einen Mehrverbrauch.*) Fahrzeuge mit Energierückgewinnung hingegen können davon deutlich mehr profitieren, wenn sie mit dem Überschuss an kinetischer Energie ihren Energiespeicher wieder aufladen.
Wind
Wenn wir Wind berücksichtigen, wird es etwas komplexer. Wind beeinflusst vor allem die Kraft, die beim Luftwiderstand überwunden werden muss. Die Gleichung ändert sich zu:
P = (f⋅cos α + sin α)⋅m⋅g⋅v + ½⋅cw⋅A⋅ϱ⋅(v-vₓ)²v
vₓ = Windgeschwindigkeitsanteil in Fahrtrichtung
Wir erkennen sofort aufgrund des exponentiellen Einflusses, dass bei Gegenwind mehr Energie aufgebracht werden muss, als bei Rückenwind gespart wird. Ebenso erkennen wir, dass dieser Einfluss des Windes stärker wirkt, je schneller das Fahrzeug fährt. Da Wind im Durchschnitt aus allen Richtungen eintrifft, gilt für den allgemeinen Fall, dass die oben angegebenen Gleichungen, bei denen Wind nicht betrachtet wird, eine untere Grenze bilden.
Fazit:
Bei niedrigeren Geschwindigkeiten wird der Einfluss des Windes auf den durchschnittlichen Energiebedarf geringer. In windreichen Gegenden wird der Energiebedarf im Schnitt höher sein, insbesondere je schneller gefahren wird.
Zur grundsätzlichen Betrachtung kann der Einfluss des Windes vernachlässigt werden, wenn man im Sinn behält, dass er den Energiebedarf abhängig von der Geschwindigkeit weiter erhöht.
Schadstoff-Emissionen
Obwohl der Kraftstoffverbrauch eines Verbrenners nur um etwa 30% sinkt, sinken die Emissionen der Stickoxide um beinahe 50%, so eine Studie der TU Graz, 2017.
Δ NOx | Δ PM10 | ||
Tempo 100 | -49,7% | -34,2% | |
Tempo 110 | -42,4% | -29,8% | |
Tempo 120 | -27,0% | -15,7% | |
Tempo 130 | 0% | 0% |
[Umweltbundesamt Österreich]
Feinstaub
Die Feinstaubbelastung sinkt um ca. 35% bei Tempo 100 im Vergleich zu Tempo 130.
TU Graz, 2017 [Umweltbundesamt Österreich]
Lärm
Die empfundene Lärmbelastung verringert sich bei einer Verringerung von Tempo 130 auf Tempo 100. Sie sinkt um 3 dB auf 54 dB (bei 2000 Fahrzeugen pro Tag).
TU Graz, 2017
Unfall-Beispiel
Ein realer Unfall. Kein Tempolimit. Das Unfallfahrzeug fährt 220 km/h. Der Unfallgegner um die 150 km/h.
Das Geschehen zeigt:
- Der Fahrer ist stets unfähig, korrekt zu reagieren. Das ist eher typisches Verhalten. Der Mensch ist in der Regel bei diesen Geschwindigkeiten derart mit Reizen überflutet, dass er seine Umgebung nur eingeschränkt wahrnehmen kann und ihm Leistungsreserven zum Treffen der richtigen Entscheidung fehlen. Aufgrund dieser Überlastung bemerkt der Autofahrer die Überbelastung selbst jedoch nicht. Er fühlt sich sicher. Die Folge:
- Die Gefahrensituation wird erst verspätet wahrgenommen.
- Die Situation wird falsch bewertet, die Gefahrensituation nicht richtig erkannt.
- Es wird eine falsche Entscheidung getroffen. Hier: keine Bremsung bei Wahrnehmen des Unfallgegners, sondern Einschalten und halten der „Lichthupe“.
- Keine Reaktion auf das Warnsignal des Kollisionswarnsystems
- Schließlich bremst der Notbremsassistent selbsttätig, um die Unfallfolgen zu vermindern. Ohne wäre der Unfall wahrscheinlich schwerwiegend ausgefallen.
- Der Unfall geht glimpflich aus. Durch Glück werden bei der Kollision durch die Unfallschäden die Räder nicht blockiert oder zerstört. Karosserieteile schleifen zwar hörbar am Reifen, dieser hält jedoch bis zum Anhalten stand. Dadurch können die Fahrzeuge auch nach der Kollision die Spur halten und schleudern nicht unkontrolliert durch die Gegend. Bei der Geschwindigkeit können sie auch eine Leitplanke einfach durchschlagen.
- Durch verminderte Geschwindigkeit hätte der Unfall an mehreren Punkten verhindert werden können.
- Wenn beide Fahrzeuge ein Tempolimit einhalten, kommt es zu keiner Überholsituation. Diese Unfallsituation käme gar nicht zustande.
- Bei einer Geschwindigkeit von unter 120 km/h könnte der Assistent durch automatische Notbremsung einen Unfall verhindern. (Die Mindestentfernung für die Erkennung beträgt ca. 70 Meter; damit solche Systeme optimal funktionieren, wäre ein Tempolimit von 100 km/h optimal)
- Der Fahrer würde entspannter fahren und hätte mehr Zeit und mehr physiologische Ressourcen, um angemessen zu reagieren.
Link zum Video dieses Unfalls aus Sicht des Verursachers (Dashcam):
Innerorts
Innerorts wird immer öfter Tempo 30 diskutiert. Mehr zum Sinn oder Unsinn dazu in diesem Beitrag.
Anmerkung
zu *) Nur unter ganz besonderen Umständen kann man bei einem Verbrennungsfahrzeug bei Bergfahrten weniger Kraftstoff benötigen als in der Ebene.
Der Wirkungsgrad eines Verbrenners ist bei ca. 1500 bis 2000 Umdrehungen und etwa 95% Vollgas am größten. Das kann man in der Ebene nicht dauerhaft halten, weil das Fahrzeug beschleunigt und sich die Drehzahl erhöht.
Am Berg kann man ggf. bei passender Steigung und passender Gangwahl diesen Zustand lange halten. Wenn man dann zur Bergabfahrt den Motor nur im Schubbetrieb betreiben kann oder gar abstellt (nicht zu empfehlen! Bremskraftverstärker fällt aus!), dann kann der Verbrauch geringer sein als in der Ebene.
Schöner Artikel! Tempo 100!!
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